Die erste Ausstellung

vom 24. Oktober bis 14. November 2015

Galerie Fronwagplatz für Gegenwartskunst, Fronwagplatz 6, CH-8200 Schaffhausen

«Titos Fotos» in der Galerie Fronwagplatz - von Fabian Müller, Fotohistoriker

Mit «Titos Fotos. Abstrakte Fotografie» stellt Thomas Greuter in der Galerie Fronwagplatz erstmals sein fotografisches Werk vor. Seit fünf Jahren bieten die zwei kleinen Räume der Galerie Fronwagplatz vielfältige Einsichten in das Kunstschaffen der Region und ermöglichen die Präsentation wenig bekannter Trouvaillen, wie aktuell die abstrakten und an Gemälde erinnernden Fotografien Greuters.

Mit der Avantgarde der 1920er Jahre kam es in der Fotografie zu einem Richtungsstreit, der jahrzehntelang schwelen sollte. Die einen wollten die Fotografie im klassischen Sinn als dokumentarisches Aufzeichnungsmedium verstanden wissen, nicht zuletzt um gesellschaftliche Missstände einer breiten Öffentlichkeit vor Augen zu führen. Die anderen versuchten die Fotografie als eigene Kunstform zu etablieren, wobei in Anlehnung an die expressionistische Malerei insbesondere das Konzept der Abstraktion zur Maxime erhoben wurde. Die Fotografie sollte in der Fortentwicklung der Künste eine Schlüsselrolle spielen, weil sie dank ihrer medialen Besonderheiten die «Realität» zwar getreu abbilden, diese mit der Wahl des Bildausschnitts aber gleichzeitig bis zur Unkenntlichkeit abstrahieren und so die Brücke zur Malerei schlagen konnte. Man Ray, einer der grossen Fotokünstler des 20. Jahrhunderts und Meister der Abstraktion, hat dazu treffend formuliert: «Ich fotografiere die Dinge, die ich nicht malen möchte, weil sie bereits existieren.»

Das Werk von Greuter (*1954) reiht sich in diese Tradition der abstrahierenden Fotografie ein, die seit bald 100 Jahren die Grenzen des Mediums auslotet und dabei die Fotografie als Kunstform in Abgrenzung zu ihrer dokumentarischen Funktion definieren möchte. Das Spiel mit dem Bildausschnitt, den Farben und den Oberflächen verleiht den mit einer Digitalkamera festgehaltenen Bildern Greuters aus dem Mittelmeerraum einen ausgeprägten künstlerischen Gehalt. Er selbst bezeichnet seine nicht nachbearbeiteten Fotografien als «ungegenständlich» und möchte «beim Fotografieren durch Sujetsuche, Nähe und Bildausschnitt ein abstrakt wirkendes Bild herstellen.»

Durch aufmerksame Beobachtung findet er seine Farben und Formen im Sinne einer bildnerischen Reduktion in der Umgebung, die uns zwar allen zugänglich ist, deren versteckten Schönheiten wir aber kaum Beachtung schenken. Details alter Bootswände offenbaren sich als vielfältige und kleinräumige Landschaften, die an Gemälde grosser Meister erinnern, etwa an die dramatischen, aus einzelnen Pinseltupfern komponierten Meerlandschaften des späten William Turners oder an die impressionistischen Lichtstudien von Claude Monet. Auch die abstrakten Arbeiten Gerhard Richters kommen in den Sinn, mit ihren zufälligen Konfigurationen mehrfacher Farbaufträge, Übermalungen und Abkratzungen.

Greuter abstrahiert in einem kreativen und langwierigen Such- und Auswahlprozess die «Realität» in an Gemälde erinnernde Bilder mit hohem ästhetischem Anspruch. Ganz zerfallen seine Fotografien jedoch nie, denn gerade wenn man meint, sich vollständig in einem abstrakten Gemälde verloren zu haben, treten fassbare und vertraute Gegenstände wie Muscheln oder Rost hervor. Man wird wieder an den konkreten fotografischen Charakter der Bilder erinnert, an ihre Ausschnitthaftigkeit aus einem grösseren Ganzen; nur um kurze Zeit später wieder einzutauchen in die abstrakte Welt der Farben und Formen, in die spannungsvollen und sich ständig verändernden Wechselspiele. Dieses Oszillieren macht Greuters Fotografien zu einem sinnlichen Erlebnis und deutet in der Vorstellung des Betrachters weit über ihren ursprünglichen Entstehungskontext hinaus. Dies ganz im Sinne der Verfechter der abstrakten Fotografie oder wie es einer ihrer frühesten Vertreter, Alvin Langdon Coburn formuliert hat: «Nichts ist wirklich ‹normal›, jedes einzelne Detail der Welt ist mit Wunder und Geheimnis gekrönt, mit grossartiger und überraschender Schönheit.»

Gedruckt sind die Fotografien Greuters ohne qualitative Kompromisse, als hochwertige Inkjet-Prints auf soliden Alu-Dipond-Platten. Da bleibt einzig noch die Klärung des künstlerischen Pseudonyms, das entgegen ersten Assoziation nichts mit Jugoslawien während dem Kalten Krieg zu tun hat. Vielmehr geht der Übername auf Greuters Kantizeit zurück und er hat schon seine frühen künstlerischen Experimente mit «Tito» signiert. Zum Schritt, mit über 60 Jahren seine erste Ausstellung zu realisieren, kann man ihm nur gratulieren.